Der Weg der in St. Gallen und in der Toscana lebenden und wirkenden Künstlerin ist stark vom verwendeten Material und der Auseinandersetzung mit dem Menschen geprägt.
Der Karton, die verfestigte Papiermasse, die Stabilisierung eines wenig kostbaren Material und dessen Beseelung, spielen eine tragende Rolle.
Was als Wellpappe erscheint, ist oftmals normaler aufgeschlitzter Karton, der ein strukturiertes «Innenleben» besitzt und dabei die Begriffe der Offenlegung und des Aufbruchs, welche für die Künstlerin von grundlegender Bedeutung sind, zum Ausdruck bringt. Bereits einmal verwendeter Karton besitzt in den Augen von Liz Gehrer Vergangenheit und Geschichte, mutiert durch die künstlerische Bearbeitung von der Vergänglichkeit zur Dauer, von der Verpackungsfunktion zum wertvollen und vielgestaltigen Werkstoff.
Auch wenn unter ihren Händen die Skulpturen einen stark abstrahierenden Charakter annehmen, so ist es doch die menschliche Gestalt, die, verfremdet, überhöht und stilisiert, in jedem ihrer Objekte dargestellt wird. Langgezogene Körperformen, sensibel geneigte Kopfpartien und, in den allermeisten Fällen, das Zusammenspiel in der Gruppe prägen die Arbeiten. Dieser Austausch von Gefühlen, das Entstehen, Entwickeln und mögliche Auseinanderbrechen von Beziehungen, das Fliessen von imaginären Worten und Gedanken sind es, die den Gestalten Lebendigkeit und Spannung verleihen.
Parallel zu den Skulpturen schafft und zeigt die Künstlerin auch Bilder, meist in Mischtechnik wiederum auf Karton gemalt und mit der Technik der Collage bereichert, belegt und geprägt. Oft sind es Zeitungsausschnitte, welche den Bildgrund ergeben, welcher dann durch weitere Druckerzeugnisse belebt und verfremdet wird. Charaktervolle Farben, aus Pigmenten und Eitempera gemischt, werden in kühnen und gleichzeitig beherrschten Wellenlinien und Strukturen in die Bilder komponiert. Dem eher dunkeln, oft zerfliessenden Formgeflecht steht zuweilen ein heller Farbton entgegen, der anfangs kaum realisiert, dann aber vom Auge überrascht wahrgenommen wird. Ähnlich verhält es sich mit angedeuteten Menschengestalten, die sich im Bild verbergen, beim genauen Hinsehen aus ihrer kühn gestalteten Umgebung heraustreten, um beim nächsten Blickewechsel wieder zu verschwinden. Die anfängliche Gegensätzlichkeit von Bildern und Skulpturen in den Arbeiten von Liz Gehrer
entpuppt sich bald als harmonische und gleichzeitig spannungsvolle Einheit
Annemarie Stüssi, Ausschnitte aus einer Werkbeschreibung, Affoltern, 2002