Ein Text (von Renate Göritz), den ich gerne selber zu meiner Arbeit geschrieben hätte:
Ich hätte es wissen müssen, worauf ich mich – und noch dazu freiwillig -einlassen wollte. Denn mir war und ist durchaus bekannt, daß es zwar eine Sache ist, seine Arbeit zu machen, eine ganz andere aber – in womöglich noch eleganten Arabeskenschwüngen darüber zu reflektieren. Man läßt sich wohl doch gern von der naiven Vorstellung verführen, daß sich derjenige, um dessen Kunst es geht, am besten über sein eigenes Welt- und Kunstverständnis zu äußern vermag. Wer steht schon seiner Arbeit näher als der Künstler selbst. Aber gerade diese Nähe ist ja die Ursache für jene eigentümliche Blindheit, sich selbst gegenüber, über die wir uns nicht ungern mokieren, sofern wir nicht selbst die Betroffenen sind. Doch wie auch immer, unsere naturbedingte Befangenheit bei eigenen und fremden Kunstäußerungen ist durch keinerlei Tricks aus der Welt zu schaffen. Es bleiben uns zwei Verhaltensweisen, mit dieser Unzulänglichkeit umzugehen: Erstens, im Wissen um diesen unseren natürlichen Mangel, damit ganz gelassen zu leben, oder zweitens, vorzugeben, man hätte den objektiven und gar wissenschaftlichen Zu- und Umgang gegenüber den Künsten. Letzteres ist Wahn und Täuschung. Wenn nicht Blasphemie. Ersteres ist Lebenswirklichkeit. Zu ihr und meinem „Mangel“ muß und will ich mich bekennen. Der kreativ denkende und handelnde Mensch erbaut sich stets seine eigene imaginäre Denk- und Traum-Fabrik aus den einmaligen, merkwürdigen und eigenartigen Versatzstücken seiner Subjektivität. In diesem selbsterschaffenen Raum produziert der Kunstarbeiter – und er kann gar nicht anders – sein Bild von der Welt. Mit Lebensfremdheit hat das nichts zu tun. Im Gegenteil. Es gibt einen schönen Begriff von diesem geheimnisvollen Raum, der allerdings meist in geringschätziger oder kunstfeindlicher Absicht gegen die Künstler benutzt und mißbraucht wird, wenn nämlich die Rede ist vom „Elfenbeinturm“ der Kunst. Für mich ist dieses Bild ein Sinnbild und Wahrzeichen für den wunderbaren und rätselhaften Ort unserer Sehnsüchte, Ängste, Visionen und Besessenheiten, von dem ein seltsamer Zauber ausgeht und hoffentlich nie erlischt. Deshalb Schluß mit der Verunsicherung über das absichtslos oder absichtsvoll Subjektive in all unseren Kunstbemühungen! Ich kann nicht von etwas absehen wollen, was mit wesentlicher Notwendigkeit zu mir und meinem Beruf gehört. Ich muß gestehen, daß diese Einsicht noch nicht ausreichte, mit meiner Selbstbefragung zurechtzukommen. Immer wieder geriet ich beim Formulieren ins Stammeln und Stottern, raubten mir meine unzähligen Versuche, vom Monolog zum Dialog mit einem geträumten Du zu kommen, den Schlaf und meine Seelenruhe auch. Bis mich eines schönen Tages, unter dem Zauber eines fast unwirklichen Vormittagslichtes, inmitten meiner mecklenburgischen Herzenslandschaft, die Erleuchtung überkam, daß es gar nicht um meine Antworten, sondern um meine Fragen geht. Damit habe ich endlich den erlösenden produktiven Ansatz gefunden, der mich von allen möglichen Versuchungen einer zweifelhaften Selbstdarstellung und Selbstinterpretation befreit. Nun sitze ich allerdings ge- und befangen im Labyrinth widersprüchlicher Fragestellungen. Darunter die schmerzhaft-eindringliche: Wer bin ich? Keine Angst, ich werde mich durchaus nicht genüßlich oder selbstquälerisch in meine eigene Nabelschau verlieren. Ich habe keine Antworten, keine Wahrheiten, keine Botschaften. Bei all meinen Überlegungen und Meditationen ende ich wie ich beginne. Mit Fragen. Ich bekenne mich dazu, mich immer wieder fragend, suchend, irrend mit „meiner“ Welt auseinanderzusetzen, wie ich sie nun einmal mit meinen Augen wahrnehme und mit meinen Händen begreife. Ich versuche, ihr in meinen Bildern und Objekten die Gestalt und Struktur zu verleihen, die ich in ihr zu erkennen vermag, auch – und gerade – in all meiner subjektiven Begrenztheit und Fragwürdigkeit. Ich befrage also und stelle in Frage, wie ich auch mich befragen und in Frage stellen lassen muß. Ich sehe mich als Teil eines Prozesses in seiner ganzen und „schrecklichen“, geheimnisvollen und vieldeutigen Fragwürdigkeit. Mein Harmoniebedürfnis verführt mich am Ende meiner Selbstbefragung dazu, doch noch auf einen tröstlichen Aspekt verweisen zu können, nämlich den, daß mein mühsam erkämpfter Ausgangspunkt auch als ein Berührungspunkt mit anderen fragenden Zeitgenossen betrachtet werden kann. Denn der Gedanke an eine mögliche Annäherung und Berührung ist mir wichtig. Trotz des Verlustes einer gemeinsamen Übereinkunft und trotz aller auseinanderstrebenden Vereinzelungen inmitten sich verändernder gesellschaftlicher Strukturen.
Renate Göritz, 1990
Die deutsche Künstlerin Renate Göritz (1938 – 2021) schrieb 1990 diesen wunderbaren Text zu ihrer Arbeit. Er gibt wieder, was ich auch zu meiner Arbeit sagen möchte. Leider habe ich den Text erst nach ihrem Tod auf der Website https://renategoeritz.art entdeckt und hatte daher keine Gelegenheit, mich mit Renate Göritz auszutauschen.